{"id":2237,"date":"2015-07-24T18:20:37","date_gmt":"2015-07-24T17:20:37","guid":{"rendered":"http:\/\/www.unwritten-future.org\/?p=2237"},"modified":"2015-07-24T18:28:44","modified_gmt":"2015-07-24T17:28:44","slug":"m18-zum-stand-der-antikapitalistischen-revolte-nach-dem-18-maerz-2015-in-frankfurt","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.unwritten-future.org\/index.php\/m18-zum-stand-der-antikapitalistischen-revolte-nach-dem-18-maerz-2015-in-frankfurt\/","title":{"rendered":"M18: Zum Stand der antikapitalistischen Revolte nach dem 18. M\u00e4rz 2015 in Frankfurt"},"content":{"rendered":"
\n

Nicht Zynisch werden!<\/strong><\/h2>\n

Neues Jahrhundert, neuer Anlauf<\/strong><\/em><\/h3>\n

 <\/p>\n

\"Nicht<\/a><\/strong><\/em><\/h3>\n<\/div>\n
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Zum Stand der antikapitalistischen Revolte nach dem 18. M\u00e4rz 2015 in Frankfurt. Ein Auswertungstext von\u00a0\u2026umsGanze!<\/em><\/p>\n

Wie wenig wir von dieser Gesellschaftsordnung samt ihren Verteidiger*innen halten, haben wir nicht so sehr am 18. M\u00e4rz selbst gemerkt, als man sich wieder einmal die Kippe an brennenden Barrikaden anz\u00fcnden konnte, sondern am Morgen danach, als wir die Zeitung aufschlugen. In den bem\u00fchten Verurteilungen des Riots, dem \u201ebrennende Streifenwagen sind Bilder, wie sie kein Mensch mit Verstand wollen kann\u201c (Frankfurter Rundschau<\/em>), schien die Angst durch, es k\u00f6nnten da drau\u00dfen einige mit Verstand unterwegs sein, die die Sache etwas anders sehen. Die wissen, dass die Gewalt nicht das Andere dieser Ordnung, sondern ihr verdr\u00e4ngtes Geheimnis, die Bedingung ihrer Existenz ist. Tats\u00e4chlich waren einige Tausend aus ganz Europa am fr\u00fchen Morgen des 18. M\u00e4rz in Frankfurt unterwegs, um deutlich zu machen, dass sie nicht nur nicht einverstanden, sondern auch ganz praktisch bereit sind, mit dem nationalen Konsens in Deutschland zu brechen. Mit unterschiedlichen Aktionen haben sie \u2013 trotz einiger idiotischer Man\u00f6ver \u2013 gezeigt, dass es auch mal die richtigen treffen kann.1<\/a>\u00a0Und trotz medialem Shitstorm kamen am Abend \u00fcber 20.000 Menschen in Frankfurt zu einer Demonstration zusammen und zeigten, dass es selbst in Deutschland wichtigeres gibt als heile Fensterscheiben. Die Frage, wie man \u201eso etwas\u201c in Zukunft verhindern und den Protest m\u00f6glichst keimfrei gestalten kann, \u00fcberlassen wir gern den B\u00fcrokrat*innen des Bestehenden auf beiden Seiten der Barrikade. Verwunderlich ist weniger, dass es mal knallt, als dass es das gemessen am herrschenden Wahnsinn viel zu selten tut.<\/p>\n

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Inzwischen aber, drei Monate sp\u00e4ter, ist der Wahnsinn einfach weitergegangen. Im Mittelmeer sind \u00fcber viertausend Menschen ertrunken.\u00a0\u00dcber viertausend mehr<\/em>. Die milit\u00e4rische Abschottung des Kontinents, wie sie die Europ\u00e4ische Union gerade umsetzt, wird dabei ganz sicher nicht weniger Tote produzieren. Im Gegenteil. Nicht, dass das nicht zu Diskussionen gef\u00fchrt h\u00e4tte. Aber kaum jemand ist gegen diesen Horror auf die Stra\u00dfe gegangen, keine Regierung in Europa, die deswegen auch nur um ihre Macht f\u00fcrchten m\u00fcsste. Die Leute wissen als treue Staatsb\u00fcrger*innen ihrer Nationen vermutlich eben zu gut, dass die Voraussetzung f\u00fcr den Fortbestand des hiesigen Wohlstandes unter den gegebenen Umst\u00e4nden die Einbunkerung Europas ist, auch wenn das Mittelmeer zum Massengrab wird. Und nichts, aber auch gar nichts scheint diesem Zynismus des Weiter-so etwas anhaben zu k\u00f6nnen. Die wiederkehrenden Betroffenheitsrituale sind selbstverst\u00e4ndlicher Teil des Programms und bedrohen den Fortgang der Dinge nicht. Das Schauspiel in der \u00d6ffentlichkeit ist immer des Gleiche: Ein paar gehen demonstrieren, f\u00fcr den Rest scheint alles weit weg und die meisten Leute f\u00fchlen sich nicht einmal gemeint.<\/p>\n

\u00c4hnlich liegt die Sache bei Griechenland: Die Griech*innen sollen bestraft werden, damit Europa erzogen wird. Selbst ein sch\u00fcchternes linkssozialdemokratisches Reformprogramm, wie das von Syriza, wurde von der Bundesregierung unter der \u201eeisernen Kanzlerin\u201c und ihrer Troika schon im Ansatz abgew\u00fcrgt. L\u00e4ngst geht es dabei nicht mehr ums Geld. Vielmehr soll eine \u201egewisse protestantische Vorstellung von Gl\u00fcck \u2013 flei\u00dfig, sparsam, ma\u00dfvoll, ehrlich, eifrig, enthaltsam, bescheiden, diskret sein\u201c (Unsichtbares Komitee) \u2013 gegen jede andere durchgesetzt werden. Der autorit\u00e4re Wettbewerbsstaat deutscher Provenienz soll zum europ\u00e4ischen Exportschlager werden. Alles in allem sind das schlechte Nachrichten. F\u00fcr alle n\u00e4mlich, die andere Interessen haben, die eher teilen als sparen, die sich eher unterhalten als kein Wort zu verlieren, die eher k\u00e4mpfen als zu erdulden, die eher ihre Siege feiern als sich zu verteidigen, die eher Kontakt aufnehmen als ihre Reserviertheit zu pflegen \u2013 f\u00fcr all jene also, denen es so geht wie uns. Denn die so richtige\u00a0Spiegel-Online<\/em>-Frage nach den EZB-Protesten \u2013 \u201eWas ist mehr wert: Ein deutscher Streifenwagen oder das Leben eines griechischen Rentners?\u201c \u2013 ist mal wieder beantwortet. Nur eine andere Frage bleibt offen, und kein Riot wird sie beantworten:\u00a0Was tun mit dieser Gesellschaft \u2013 und der eigenen Ohnmacht?<\/em><\/p>\n

F\u00fcr einen anderen Modus des Politischen<\/h2>\n

Die B\u00fcrgerkriegsfans vom Unsichtbaren Komitee haben zwar ebenso recht, wenn sie zitieren: \u201eEs gibt keine andere Welt, nur eine andere Art zu leben.\u201c Doch es bleibt nur die Frage: Wie? Noch der sch\u00f6nste Riot l\u00e4sst sich nicht auf Dauer stellen, und selbst ein kurzer Aufstand am Morgen hat mitunter einen hohen Preis. Das Ganze ist kein Spiel, und unser Genosse Fede sa\u00df wirklich im Knast. Wir alle wissen insgeheim, dass die Variante, das alles immer wieder, nur eben das n\u00e4chste Mal in Berlin oder in Mailand oder sonst wo zu wiederholen, das Problem nicht l\u00f6sen wird. Weil die Wut so berechtigt ist, wie sie zum blo\u00dfen Symptom unserer Ohnmacht wird, weil sie uns besch\u00e4ftigt h\u00e4lt, ohne dass wir aus dem Kreisverkehr der Emp\u00f6rung ausbrechen. Dass die \u201eArmee auf den Stra\u00dfen (\u2026) der Sieg des Aufstandes\u201c sein soll, wie das Unsichtbare Komitee meint, war zudem schon immer Unsinn. Daf\u00fcr braucht man nicht nach Syrien zu schauen, und man wei\u00df es auch nicht erst seit Frankfurt: Die blo\u00dfe Eskalation des sozialen Konfliktes taugt nicht als Ziel einer radikalen Linken, weil es am Ende auf die immer gleiche putschistische Zuspitzungsphantasie hinausl\u00e4uft, die mit ein paar Gewaltbildchen schon ganz zufrieden ist. Wer sich aber au\u00dfer dem finalen Zusammenbruch und der Brutalisierung des Konfliktes nichts mehr vorstellen kann, der hat sich im selbsterkl\u00e4rten Au\u00dfen der Gesellschaft schon zu gut eingerichtet. Das hat viel mit der Sch\u00fctzengrabenromantik eines Ernst J\u00fcnger und wenig mit dem Auffinden und Zuspitzen der Widerspr\u00fcche im Hier und Jetzt zu tun. Am Ende des Tages ist jeder Riot nur so gut, wie die gesellschaftliche Organisierung und deren Verankerung im Alltag, die dahinter aufscheint. Und in dieser Hinsicht hat der 18. M\u00e4rz gezeigt, wie viel Luft nach oben noch \u00fcber unseren K\u00f6pfen und wie viel Platz noch zwischen uns und der Gesellschaft ist. Man k\u00f6nnte es auch erfolgreiches Scheitern nennen.<\/p>\n

Aus diesem Grund halten wir, so sehr wir uns \u00fcber den 18. M\u00e4rz gefreut haben, unsere politische Entscheidung f\u00fcr die Beteiligung am Blockupy-B\u00fcndnis nach wie vor f\u00fcr strategisch richtig und politisch wichtig. Gerade mit Blick auf die sozialen Kr\u00e4fteverh\u00e4ltnisse in diesem Land. Denn eine gro\u00dfz\u00fcgig ausgelegte Form des zivilen Ungehorsams erscheint uns derzeit eine geeignete M\u00f6glichkeit, sowohl eine Zuspitzung der Debatte \u00fcber die \u00f6rtlichen Zumutungsverh\u00e4ltnisse zu erreichen, wie auch die gesellschaftliche Isolation der Kritik zu beenden.\u00a0Nicht damit wir \u201emassentauglich\u201c werden, sondern damit wir mehr Menschen hier, im Herzen des Hamsterrades, zum Dagegensein ermutigen.<\/i>Es w\u00fcrde also darum gehen, einen neuen Modus des Politischen zu entwickeln, jenseits von Abgrenzung als Selbstzweck als auch von Parteimassentauglichkeit.\u00a0<\/i>Denn weder \u201eAbgrenzung\u201c noch \u201eMasse\u201c sind ein Zweck an sich. Vielmehr geht es darum, den nationalistischen Kitt, der diese Gesellschaft wie kaum ein anderer immer noch zusammenh\u00e4lt, auf breiter Front antikapitalistisch zu zersetzen. In diesem Sinne kann ziviler Ungehorsam zu einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung ermutigen, an der nicht nur agile junge Menschen in Turnschuhen teilnehmen k\u00f6nnen. Das macht, wenn es gut l\u00e4uft, Risse im Beton sichtbar. Denn die Bilder zeigten die Gewalt des entspanntesten Gewaltmonopolisten, der je deutsche P\u00e4sse ausgegeben hat (den Kessel), die prinzipielle Angreifbarkeit der herrschaftlichen Inszenierungen (die Paintbombs an der Fassade der EZB), immer aber das Versprechen auf ein anderes, besseres Leben (uns).<\/p>\n

Der Versuch der Entwicklung einer breite(re)n Bewegung gegen die deutsche Politik setzt allerdings voraus, zugleich antagonistisch\u00a0und<\/i>\u00a0anschlussf\u00e4hig zu sein. Wer angesichts der aktuellen Situation in Europa ernsthaft meint, der entscheidende Punkt sei nun, die Zuspitzung in die linken Milieus statt in die Gesellschaft selbst zu tragen, folgt einem Ritual identit\u00e4rer Selbstbespa\u00dfung, das sich f\u00fcr radikal halten mag, tats\u00e4chlich jedoch kaum Potential f\u00fcr gesellschaftliche Ver\u00e4nderung bietet. Stattdessen w\u00fcrde es darum gehen, im Wissen um die Unterschiede einen Zustand der praktischen Kooperationsf\u00e4higkeit herzustellen, und vor dieser Aufgabe werden wir alle \u2013 auch als radikale Linke \u2013 in Zukunft weiterhin stehen. Wir d\u00fcrfen uns daf\u00fcr nicht zu schade sein, mit anderen politischen Gruppen und gesellschaftlichen Milieus ins Gespr\u00e4ch zu kommen, im Gespr\u00e4ch zu bleiben und Zusagen verbindlich umzusetzen, ohne dabei an politischer Sch\u00e4rfe und Radikalit\u00e4t einzub\u00fc\u00dfen. Auch aus diesem Grund ist die f\u00fcr viele so anr\u00fcchige B\u00fcndnisarbeit wie bei Blockupy f\u00fcr uns wichtig und der dort stattfindende, so m\u00fchselige wie mitunter nervige Verst\u00e4ndigungsprozess ein radikales Unterfangen \u2013 radikaler jedenfalls, als vom gefahrlosen Ort des Schreibtisches aus einsame Texte zu produzieren, die auf Geschichte warten. Oder zweimal im Jahr auf Ausw\u00e4rtsfahrt zu fahren und zwischendrin mit dem Mitmachen weiterzumachen.<\/p>\n

Autorit\u00e4rer Wettbewerbsstaat \u2013 german style<\/h2>\n

So wenig man angesichts des deutschen Pazifismus als spontaner Massenideologie Kopfnoten f\u00fcr gute oder schlechte Protestkultur vergeben sollte, so wenig kann man also Radikalit\u00e4t an der Zahl kaputter Fensterscheiben messen lassen. Davon abgesehen ist es einfach zu retro, heute noch im Gestus der unvers\u00f6hnlichen Kritik vom schlechten Ganzen zu reden und gleichzeitig auf die Negation der Verh\u00e4ltnisse qua Polit-Hooliganismus zu hoffen. Die Zeiten sind vorbei, in denen die Hauptaufgabe der Gesellschaftskritik darin bestand, an die Verwerfungen der kapitalistischen \u00d6konomie und die versch\u00fcttete Idee des Kommunismus zu erinnern. Seit l\u00e4ngerem ist in allen Talkshows und Zeitungen dieses Landes angekommen, dass mit der Weise, wie die Menschen wirtschaften und sich zueinander verhalten, etwas nicht stimmt. Wof\u00fcr allerdings kein Platz ist, ist eine grunds\u00e4tzliche Erw\u00e4gung der Ursachen des gesellschaftlichen Missstands. Gesellschaftskritik wird heute nur so gut sein, wie sie in der Lage ist, konkret die Irrationalit\u00e4t der Verh\u00e4ltnisse\u00a0und<\/i>\u00a0ihre \u00dcberwindbarkeit plausibel zu machen.<\/p>\n

Was daher jetzt ansteht, ist nah am Schweinesystem dranzubleiben und die n\u00e4chste Stufe der Auseinandersetzung einzul\u00e4uten. Dabei m\u00fcsste es darum gehen, mehr als bisher eine Gesellschaftskritik zu entwickeln, die allgemein ist, ohne dabei im schlechten Sinne abstrakt zu bleiben \u2013 insofern, dass zwar viele zustimmen, dass \u201eder Kapitalismus\u201c irgendwie schlecht ist, daraus aber dann doch wenig folgt, au\u00dfer eben verschw\u00f6rungstheoretisches Geraune oder der Zynismus des Bescheidwissens beim Mitmachen. Wie eine solche Praxis aussehen kann, auch dar\u00fcber wird zu reden sein. Sicherlich kann es aber nicht einfach darum gehen, durch die krasseren Aktionen oder eine gr\u00f6\u00dfere Anschlussf\u00e4higkeit voranzukommen, sondern wohl noch am ehesten dadurch, dass wir beginnen, den Alltag dieser Gesellschaft umzukrempeln \u2013 und unser Leben gleich mit. Wer jetzt nur nach der richtigen \u201eAktionsform\u201c sucht, wahlweise damit alle mitmachen k\u00f6nnen oder um dem Schweinesystem mal wieder so richtig den Spiegel vorzuhalten, sieht den Wald vor B\u00e4umen nicht. Schlie\u00dflich werden\u00a0 brennende M\u00fclltonnen\u00a0wie<\/i>friedliche Sitzblockaden in Griechenland durchaus als solidarischer Akt verstanden \u2013 aber in Deutschland werden sie von der schweigenden Mehrheit als Bedrohung erlebt, wie die griechische Bev\u00f6lkerung selbst auch. Das liegt nicht nur an der BILD-Propaganda, sondern vor allem daran, dass Griechen und Deutsche im Stahlkorsett der europ\u00e4ischen Konkurrenzordnung real gegeneinander ausgespielt werden. Die\u00a0politische Aufgabe liegt daher jetzt weniger darin, eine endg\u00fcltige Aktionsform zu finden, als darin, gemeinsame Interessen gegen diese Ordnung zu organisieren. Die Mechanismen des Weltmarktes und der kapitalistischen Ordnung im Blick zu behalten, kann dabei davor bewahren, allzu entt\u00e4uscht zu sein, wenn die Deutschen als objektive Krisenprofiteure sich in unsch\u00f6ner Regelm\u00e4\u00dfigkeit immer wieder auf die Seite ihrer nationalen Schicksalsgemeinschaft schlagen und ihr Herz f\u00fcr Griechenland lieber nicht bei der n\u00e4chsten Sitzblockade gegen die von ihnen selbstgew\u00e4hlte Regierung entdecken, sondern nur beim n\u00e4chsten Rhodos-Trip2<\/a>.<\/p>\n

Vielversprechender als ein neuer linker Populismus, wie er so manchem hiesigen Syriza- und Podemos-Fan hierzulande vorschwebt, w\u00e4re daher eine Kl\u00e4rung der Interessen. Die aber ist ohne eine grunds\u00e4tzlicheantinationale Kritik<\/i>\u00a0nicht zu haben. Man nehme nur die deutschen Gewerkschaften als Beispiel. In den letzten zwei Jahren ist in Deutschland so viel gestreikt worden wie selten zuvor. Insbesondere die Spartenwerkschaften wie Cockpit oder GDL machen den Deutschen vor, dass ein Streik sehr wohl in der Lage ist, Lohnerh\u00f6hungen durchzusetzen, man daf\u00fcr aber mal den Standort Standort sein lassen muss, und inzwischen traute sich sogar Verdi mit einem Poststreik vor. Unabh\u00e4ngig davon aber setzt der Gro\u00dfteil der mitgliederstarken Gewerkschaften, im Einklang mit einem betr\u00e4chtlichen Teil ihrer Basis, nach wie vor auf die national-korporatistische Karte \u2013 unbeeindruckt davon, dass der beschworene \u201esoziale Friede\u201c selbst hierzulande l\u00e4ngst aufgek\u00fcndigt ist (auch wenn sich die Kollateralsch\u00e4den des Wirtschaftskrieges in der BRD eher in der psychischen Verheerung angestrengter Trostlosigkeit als im Hungertod zeigen). Mit den deutschen Kinderg\u00e4rtner*innen solidarisch zu sein und gleichzeitig die harte Knute f\u00fcr Griechenland zu fordern, ist hier kein Widerspruch. Die Gewerkschaften bleiben bei ihrem partnerschaftlichen Verh\u00e4ltnis zum Wettbewerbsstaat insofern nicht einmal so sehr, weil ihr Apparat korrupt ist, sondern weil ihnen der deutsche Spatz in der Hand immer noch n\u00e4her ist als die griechische Taube auf dem Dach. Dass nun ausgerechnet Teile der Gewerkschaftslinken nach dem 18. M\u00e4rz dem Blockupy-B\u00fcndnis Bedingungen f\u00fcr eine weitere Zusammenarbeit und gemeinsame Proteste diktieren wollen (Friede! Freude! Eierkuchen!), ist insofern nur ein halber Witz. Denn bei einem Gro\u00dfteil von ihnen hat es bekanntlich in den letzten Jahren nie zu mehr als rhetorischer Solidarit\u00e4t mit den griechischen \u201eArbeitnehmer*innen\u201c gereicht. Und das hat eben jene handfesten national-korporatistischen Gr\u00fcnde. Warum also sollten sie heute empf\u00e4nglicher sein f\u00fcr Diskussionen um Aktionsformen, die einer praktischen Solidarit\u00e4t gesellschaftlich zur Durchsetzung verhelfen k\u00f6nnten, an der\u00a0<\/i>sie selbst kaum Interesse zeigen?\u00a0Gegen die in dieser ungleichen Partnerschaft von Kapital und Arbeit zum Ausdruck kommende, mehrfach gestaffelte Institutionalisierung des B\u00f6sen, scheint uns eine Organisierung allt\u00e4glicher Bed\u00fcrfnisse jenseits der bestehenden Formen von Lohnarbeit, Zwangsfreizeit und Politikbetrieb vielversprechender.<\/i>\u00a0Was selbstverst\u00e4ndlich die fr\u00f6hliche antinationale Zersetzungspraxis und Ermutigung zur Arbeitsniederlegung an der Basis der Gewerkschaften keineswegs ausschlie\u00dft. Ob man dieses Projekt dann am Ende\u00a0sozialer Streik<\/i>\u00a0oder sonst wie nennt, ist nicht wichtig. Nur dass es darum jetzt gehen muss, das scheint uns doch klar.<\/p>\n

Solidarit\u00e4t weil ich<\/h2>\n

Gleichzeitig bleibt es aber wichtig, immer wieder laut und \u00f6ffentlich zu widersprechen. Denn das Vorgehen der Krisenverwalter in Griechenland und vielleicht bald in Spanien l\u00e4sst sich nicht nur sch\u00f6n plastisch auf den Begriff der organisierten Erpressung bringen. Das zynische \u201eFriss und stirb trotzdem\u201c, unter dem die griechische Bev\u00f6lkerung leidet und dessen Opfer politisch so billigend in Kauf genommen werden wie die Toten im Mittelmeer, ist \u00fcberall in Europa l\u00e4ngst zum allgemeinen Prinzip der autorit\u00e4ren Krisenverwaltung geworden, wenn auch auf unterschiedlich niedrigem Niveau. In Sachen Griechenland hat sich sp\u00e4testens mit dem \u201eKompromiss\u201c vom 13. Juli gezeigt, wie weit die Gewaltmonopolist*innen der Europ\u00e4ischen Union prinzipiell mit ihren Krisenl\u00f6sungen bereit sind zu gehen \u2013 und das h\u00e4ngt auch in Zukunft wesentlich davon ab, wie weit sie gehen\u00a0k\u00f6nnen<\/i>. F\u00fcr alle, die etwas anderes vom Leben wollen als das angsterf\u00fcllte Rennen, Rackern und Rasen um ein immer kleineres St\u00fcck vom Kuchen, ist es daher zentral, die praktische Solidarit\u00e4t mit den Betroffenen zu suchen.\u00a0Nicht um Gru\u00dfbotschaften geht es dabei, sondern um pr\u00e4ventiven Selbstschutz aus richtig verstandenem Egoismus: Alles kommt derzeit darauf an, inwiefern es uns gelingt, den Angriff gegen die Bev\u00f6lkerung in S\u00fcdeuropa durch etwas Trouble an der Heimatfront zu behindern.\u00a0<\/i>Auch und gerade nach dem 13. Juli. Auch und gerade angesichts des diffusen Gef\u00fchls, wieder mal eine Schlacht verloren zu haben.<\/p>\n

Die Organisierung des \u00f6ffentlichen Widerspruchs ist dabei\u00a0nicht<\/i>\u00a0das Gegenteil der Verankerung\u00a0im Alltag. Denn so wie eine punktgenaue Mobilisierung des Dagegenseins, der \u00dcberfl\u00fcssigen und Ausgestiegenen, der W\u00fctenden und Unsichtbaren gegen die Inszenierungen der Macht nur Event bleibt, wenn sie den Abgrund zum Alltag nicht \u00fcberwindet, so ist es ebenso zu wenig, den sozialen Interessen nur unmittelbar Ausdruck verleihen zu wollen. Denn selbst wenn man die sozialen K\u00e4mpfe gegen dies und das radikalisiert, weisen sie nur aus sich selbst heraus, eben nicht \u00fcber sich selbst hinaus. Dass Lenin mit der Partei die falsche Antwort gleich mitgeliefert hat, als er das Problem des \u201etradeunionistischen Bewusstseins\u201c b\u00fcrgerlicher Interessensk\u00e4mpfe benannt hat, macht die Suche nach einer L\u00f6sung daf\u00fcr nicht \u00fcberfl\u00fcssig. Denn die in vielen \u201eAlltagsk\u00e4mpfen\u201c gemachten radikalen Erfahrungen sind eben leider oft recht kurzlebig, weil die gesellschaftliche Herrschaft der falschen Freiheit samt ihren Verkehrsformen am Ende des Tages noch immer st\u00e4rker war als jede noch so gutgemeinte Basisinitiative.\u00a0Eine Kl\u00e4rung und Organisierung der Bed\u00fcrfnisse im Alltag braucht daher ihre politische Vermittlung in einem Projekt, das auf eine emanzipatorische Aufhebung der Konstellation zielt, in dem sich die begrenzten Interessen, Identit\u00e4ten und die Konflikte zwischen ihnen ja \u00fcberhaupt erst immer wieder ergeben.<\/i>\u00a0Wie antikapitalistische Zuspitzung unter solchen Bedingungen aussehen kann, die sich nicht einfach mit den ber\u00fchmten \u201eInterventionen in Alltagsk\u00e4mpfe\u201c zufrieden gibt, auch dar\u00fcber wird zu reden sein.<\/p>\n

Zusammenkommen und an Dynamik gewinnen k\u00f6nnte dieses Vorhaben im Kampf f\u00fcr etwas, das den Horizont der klassischen Linken nach wie vor \u00fcbersteigt. Denn das w\u00e4re etwas, dem man weder mit der abstrakten Theorie des Kapitals noch mit der d\u00fcrren Formel von \u201esozialer Gerechtigkeit\u201c und \u201eguter Arbeit\u201c n\u00e4herkommen wird. Die sozialpsychologischen Kollateralsch\u00e4den der Degradierung der meisten Menschen in diesem Land zu Standortameisen sind f\u00fcr die Einzelnen so gravierend, wie sie ein Ansatzpunkt sein k\u00f6nnten. Der massive Anstieg der Burnout-Rate zeigt auch an, dass selbst im Auge des Sturms etwas schwelt. Und wo etwas schwelt, da l\u00e4sst sich bekanntlich hin und wieder ganz einfach ein gr\u00f6\u00dferes Feuer legen.<\/p>\n

Von nichts kommt nichts<\/h2>\n

Wie kommen wir da hin? Zum einen braucht es wohl noch etwas Zeit zum Nachdenken und Orte zum Diskutieren. Denn\u00a0unsere Vorstellungen von einer anderen Einrichtung der Gesellschaft, die wir gegen den aktuellen Wahnsinn von Staat, Nation und Kapital setzen, sind \u2013 diplomatisch formuliert \u2013 noch ausbauf\u00e4hig. So lange es nicht ganz unrealistisch scheint, dass es im Fall des Aufstandes keine Pizzen mehr in den Tiefk\u00fchltruhen geben wird, weil nicht nur die Logistik der Macht, sondern auch die der Tiefk\u00fchlpizzen zusammenbricht, wird die Mehrheit der Menschen aus durchaus nachvollziehbaren Gr\u00fcnden nicht mitmachen. Gelegenheiten zum Austausch und zur Entwicklung von Konzepten sollten wir daher schaffen und ernstnehmen \u2013 und uns nicht einreden lassen, dass das nur etwas f\u00fcr Extremisten und abgedrehte Nerds ist. Denn als die k\u00f6nnen heute tats\u00e4chlich eher \u201ediejenigen Apologeten kapitalistischer Herrschaft bezeichnet werden, die dieses zu einem Schlachthaus der Menschheit mutierende System immer noch als alternativlos und als die \u203abeste aller m\u00f6glichen Welten\u2039 bezeichnen. Die Suche nach einer praktischen Systemalternative stellt hingegen das einzig Vern\u00fcnftige, Mittlere, Gem\u00e4\u00dfigte dar: Es ist ein Unterfangen, dem sich ein jeder Spie\u00dfer zu verschreiben h\u00e4tte, der sich Sorgen um die Zukunft seiner Kinder macht \u2013 und der erkannt hat, dass deren Abrichtung zu Mobbingmaschinen, wie sie jetzt in der Mittelklasse gang und g\u00e4be ist, ihnen keine lebenswerten Zukunftsperspektiven er\u00f6ffnen wird\u201c (Tomas Konicz). Nat\u00fcrlich meint das ein praktisches Denken im Konflikt und nicht die Bildung linksradikaler Exzellenscluster an der Universit\u00e4t oder im linken Wohnprojekt, aber das wissen wir ja alle. Vielmehr geht es um Orte der theoretischen und praktischen Verst\u00e4ndigung dar\u00fcber, wie es jetzt weitergehen kann. Zugleich \u2013 und auch damit sagen wir nichts ganz Neues \u2013 muss diese Diskussion Bestandteil eines transnationalen Organisierungsprozesses mit antinationaler Ausrichtung sein. Denn um mit der europ\u00e4ischen Krisenverwaltung praktisch Schritt halten und ihr immer wieder \u00f6ffentlich in die Suppe spucken zu k\u00f6nnen, um an der unbefristeten Bestreikung des sozialen Alltags zu arbeiten, und um eben auch die Diskussion gesellschaftlicher Alternativen vorantreiben zu k\u00f6nnen, m\u00fcssen wir so grenz\u00fcbergreifend aufgestellt sein wie die gesellschaftliche Herrschaft.3<\/a>\u00a0Alles andere bleibt unter dem Niveau des Problems. Das Problem aber ist ernst und keines, was wir uns ausdenken, es ist eines dieser Wirklichkeit selbst \u2013 und es dr\u00e4ngt zu einer L\u00f6sung. Damit diese \u2013 wenn sie dann kommt \u2013 eine zum besseren wird, so wie es die allgemeinen M\u00f6glichkeiten des technologischen Wissens wie auch die konkreten Erfahrungen im gemeinsamen Widerstand mit Genoss*innen aus ganz Europa und dar\u00fcber hinaus l\u00e4ngst andeuten, gibt es nur eins: #weitermachen.<\/p>\n


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1<\/a>\u00a0Der\u00a0Auswertung des Blockupy-Koordinierungskreises<\/a>\u00a0haben einige Genoss*innen aus eher autonomen Kreisen einige wichtige Punkte hinzugef\u00fcgt. Ihrem\u00a0lesenswerten Text<\/a>\u00a0k\u00f6nnen wir uns in vielem anschlie\u00dfen, auch wenn wir glauben, dass in Sachen funktionierenden Absprachen zwischen verschiedenen Aktionsformen und \u201eBlockadepunkten von denen keine Eskalation ausgeht\u201c tats\u00e4chlich noch deutlich Luft nach oben ist.<\/p>\n

2<\/a>\u00a0Diese Mechanismen im Blick zu behalten kann \u00fcbrigens auch davor bewahren der \u201elinken\u201c Grexit-Debatte und damit gleich der n\u00e4chsten Entt\u00e4uschung auf den Leim zu gehen. Denn unter den heutigen Bedingungen und Kr\u00e4fteverh\u00e4ltnissen auf dem Weltmarkt gibt es keine nationalen L\u00f6sungen, h\u00f6chstens eine entsprechend reaktion\u00e4re Elendsverwaltung mit realsozialistischem Charme \u2013 auch wenn manche sich da inzwischen schon wieder eine Abk\u00fcrzung w\u00fcnschen.<\/p>\n

3<\/a>\u00a0Vor dem Hintergrund dieser einigerma\u00dfen banalen, aber wichtigen Einsicht, ist das Beyond Europe Camp, das im August bei Thessaloniki in Griechenland stattfindet, \u00fcbrigens nicht nur eine attraktive M\u00f6glichkeit eine n\u00e4chste Stufe der Holidarity mit zu erleben und das Angenehme mit dem N\u00fctzlichen zu verbinden, sondern fast schon\u00a0ein Pflichttermin<\/a>.<\/p>\n<\/div>\n

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Nicht Zynisch werden! Neues Jahrhundert, neuer Anlauf   Zum Stand der antikapitalistischen Revolte nach dem 18. M\u00e4rz 2015 in Frankfurt. Ein Auswertungstext von\u00a0\u2026umsGanze! Wie wenig wir von dieser Gesellschaftsordnung samt ihren Verteidiger*innen halten, haben wir nicht so sehr am 18. M\u00e4rz selbst gemerkt, als man sich wieder einmal die Kippe an brennenden Barrikaden anz\u00fcnden konnte, […]<\/p>\n","protected":false},"author":2,"featured_media":0,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[1,7,17],"tags":[],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/www.unwritten-future.org\/index.php\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/2237"}],"collection":[{"href":"https:\/\/www.unwritten-future.org\/index.php\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/www.unwritten-future.org\/index.php\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.unwritten-future.org\/index.php\/wp-json\/wp\/v2\/users\/2"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/www.unwritten-future.org\/index.php\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=2237"}],"version-history":[{"count":3,"href":"https:\/\/www.unwritten-future.org\/index.php\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/2237\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":2242,"href":"https:\/\/www.unwritten-future.org\/index.php\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/2237\/revisions\/2242"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/www.unwritten-future.org\/index.php\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=2237"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.unwritten-future.org\/index.php\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=2237"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/www.unwritten-future.org\/index.php\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=2237"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}