{"id":2217,"date":"2015-07-02T12:07:36","date_gmt":"2015-07-02T11:07:36","guid":{"rendered":"http:\/\/www.unwritten-future.org\/?p=2217"},"modified":"2015-07-05T14:10:13","modified_gmt":"2015-07-05T13:10:13","slug":"die-parade-der-unsichtbaren-ein-nachbereitungsdossier-mit-zehn-thesen-zur-linksradikalen-perspektivierung","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.unwritten-future.org\/index.php\/die-parade-der-unsichtbaren-ein-nachbereitungsdossier-mit-zehn-thesen-zur-linksradikalen-perspektivierung\/","title":{"rendered":"Die Parade der Unsichtbaren – Ein Nachbereitungsdossier mit Zehn Thesen zur linksradikalen Perspektivierung"},"content":{"rendered":"

Zusammen mit den stadtpolitischen Gruppen Nowhere Leipzig, Stadt f\u00fcr Alle, F\u00fcr das Politische und unseren Genoss_innen von der Interventionistischen Linken Leipzig\/Prisma waren wir am 30.05. mit \u00fcber 1000 Menschen gegen das Stadtjubil\u00e4um und f\u00fcr ein Recht auf Stadt f\u00fcr Alle auf der Stra\u00dfe. Was bleibt?<\/p>\n

Ein Nachbereitungsdossier.\u00a0<\/strong><\/em><\/h2>\n

1. Zehn Thesen zur linksradikalen Perspektivierung<\/strong><\/p>\n

2. Pressespiegel<\/strong><\/p>\n

3. “Diese Party ist nicht unsere Party” – ungek\u00fcrztes Interview mit dem Kreuzer<\/strong><\/p>\n

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\"PdU1\"<\/p>\n

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1. Zehn Thesen zur Parade der Unsichtbaren und zur Frage: Warum Recht auf Stadt?<\/strong><\/p>\n

Eine strategische Auswertung und Perspektivierung in 10 Thesen.<\/em><\/p>\n

1. Aufmerksamkeitseskalation strategisch nutzen!
\n<\/strong>Die Parade der Unsichtbaren war in erster Linie keine Demonstration gegen die Stadtfeierlichkeiten. Zwar waren diese selbst ein Leuchtturmprojekt f\u00fcr den Ausverkauf der Stadt. Ob die gro\u00dfe Sause stattfinden wird oder nicht, war uns allerdings reichlich egal. Indes waren die Feierlichkeiten ein hervorragender Verdichtungspunkt von Herrschaftspolitik und symbolischem Machtspektakel. Um die Mobilisierung der Leipziger_innen f\u00fcr die ideologische Einbindung in das \u201eProjekt Stadt\u201c zu gew\u00e4hrleisten, musste ein mediales Spektakel gez\u00fcndet werden, in dessen Kontext unsererseits ein taktisches Verh\u00e4ltnis zur b\u00fcrgerlichen Aufmerksamkeits\u00f6konomie ganz gut m\u00f6glich war. Die Folge war eine relativ hohe Frequenz von Berichterstattung auch jenseits linker Gegenmedien. Weil das st\u00e4dtische Event selbst auf Aufmerksamkeit angewiesen ist, f\u00e4llt es schwerer im Zuge dieser medialen Dynamisierung, die linken Gegenaktivit\u00e4ten zu verschweigen. Eine eigene Themensetzung konnte somit \u201eauf dem R\u00fccken\u201c der offiziellen Marketingpolitik platziert werden.<\/p>\n

2. \u00d6ffentlichkeitsarbeit professionalisieren!
\n<\/strong>Um diese Chance der eigenen Themensetzung aufgrund einer erh\u00f6hten Aufmerksamkeit nicht zu verpassen, muss die radikale Linke sie aber auch bewusst ergreifen. Dass hei\u00dft konkret: wahrnehmbarer Ansprechpartner sein, \u00f6ffentlich agieren, professionelle Pressearbeit leisten. Das ist zur Parade noch nicht perfekt, aber doch besser gelaufen, als es uns sonst\u00a0bekannt ist. Interviewaussagen, Pressetexte und Aufruffragmente wurden in der LVZ neutral bis wohlwollend zitiert. Damit wird man nicht nur Objekt von Berichterstattung, sondern tritt selbst als Akteur auf. Auch wenn das Spiel mit der b\u00fcrgerlichen \u00d6ffentlichkeit nur die halbe Miete ist und immer problematische Z\u00fcge des Spektakels zeitigt, sind wir auch auf die Zentren der Meinungsbildung angewiesen, um eigene Deutungsangebote zu verbreiten.<\/p>\n

3. (Post-)autonome Verhaltensweisen \u00fcberwinden!
\n<\/strong>Auch die visuelle Ausgestaltung der Demo betrachten wir als einen Grund, warum eine politische Verhandlung der thematischen Schwerpunkte der Demo in der \u00d6ffentlichkeit erfolgte und nicht nur ein ordnungspolitscher Diskurs \u00fcber \u201elinke Chaoten\u201c etc. herrschte. Die \u00fcblichen (post-)autonomen Verhaltens- und Kleidungskodizes waren am 30.05 nicht sichtbar und damit die Demonstration nicht in den \u00fcblichen b\u00fcrgerlichen Wahrnehmungskanon integrierbar. Eine pauschalisierende Aburteilung linksradikaler Intervention war somit schwerer zu haben. Auch, wenn klassisch autonome Aktionsformen zu gegeben Anl\u00e4ssen durchaus ihre Berechtigung haben, w\u00fcnschen wir uns ein taktisch-bewussteres Verh\u00e4ltnis zu diesen. Nicht immer sind sie notwendig, \u00f6fters kontraproduktiv. Das Auftreten der Parade fanden wir in dieser Hinsicht sehr erfrischend.<\/p>\n

4. Kriminalisierung als Ausdruck der neuen urbanen Ordnung
\n<\/strong>Dennoch gab es durch die \u00fcblichen Boulevardmedien wie BILD und Morgenpost (Siehe Pressespiegel) den Versuch einer Kriminalisierung im voraus. Auch der Umgang des Ordnungsamtes mit der Parade zeugte von dieser medial aufgeheizten Panikmache, weil offensi\"PdU4\"chtlich mit allen Mitteln die herbeigeredeten Krawalle in innenstadtn\u00e4he (auch hier sollte sich \u00fcbrigens eine radikale Linke \u00fcberlegen, inwieweit sie \u00fcber das St\u00f6ckchen springen will, das ihr da hingehalten wird) genutzt wurden, um Protest in H\u00f6r- und Rufreichweite der st\u00e4dtischen Umz\u00fcge zu verhindern. Diese Ph\u00e4nomene k\u00f6nnen als Aspekte einer versuchten Entpolitisierung st\u00e4dtischer Proteste verstanden werden. Wer sich nicht in den Reigen von Selbstbeweihr\u00e4ucherung und konstruktiver, dass hei\u00dft an der prinzipiellen Ordnung von Verwertung und Standortlogik orientierten Kritik integrieren l\u00e4sst, dessen Artikulation soll nicht mehr als politischer Ausdruck, sondern als polizeiliches Problem stigmatisiert werden. Dieser Umgang mit der Parade ist in dieser Hinsicht Spiegelbild f\u00fcr die realen Vorg\u00e4nge in der Stadt. Die Trennung von Politik und Polizei, von berechtigten Interessen und vermeintlicher Kriminalit\u00e4t findet sich in Vierteln wie Connewitz oder Volkmarsdorf wieder und ist Vorlauf einer neuen urbanen Ordnung, die st\u00e4rker als zuvor an den Kriterien des Profits organisiert sein wird.<\/p>\n

5. Warum Recht auf Stadt? Aktive K\u00e4mpfe sind noch m\u00f6glich,…
\n<\/strong>Die Parade der Unsichtbaren wollte genau diese urbane Ordnung, deren Aspekte Gentrifizierung, polizeiliche Repression und anderweitiger Ausschluss aus dem st\u00e4dtischen Reichtum sind, auf die Agenda setzen. Wir denken, dass dieses Thema aus unterschiedlichen Gr\u00fcnden interessant f\u00fcr linksradikale Politik ist. Einer ist: bez\u00fcglich der Frage \u201eWem geh\u00f6rt die Stadt?\u201c ist in Leipzig im Gegensatz zu anderen St\u00e4dten die Messe noch nicht gelesen. Lange Zeit galt die Stadt als Mekka billiger Mieten, freier Wohnungswahl und der Aneignung der Viertel durch die Bewohner_innen. Damit k\u00f6nnte in Zukunft Schluss sein, aber noch ist Spielraum vorhanden, um aktiv in diese Auseinandersetzung einzugreifen und nicht nur Feuerwehrpolitik bei Entmietungsprozessen zu betreiben.<\/p>\n

6. …also: Basisinitiativen aufbauen!
\n<\/strong>Ein Instrument st\u00e4dtischer Politik, \u00fcber das hier Druck ausge\u00fcbt werden kann, ist das wohnungspolitische Konzept, das die l\u00e4ngerfristige strategische Ausrichtung Leipzigs in dieser Hinsicht festsetzt. Der Spielraum f\u00fcr eine Politisierung des st\u00e4dtischen Raums steigt bspw. enorm, wenn sich Freifl\u00e4chen und Wohnungen weiterhin in \u00f6ffentlicher und nicht in privater Hand befinden. Vor allem das Netzwerk Stadt f\u00fcr Alle<\/em> arbeitet zu diesem Thema. Allein auf die gro\u00dfe Politik kann hier aber nicht gebaut werden und Auftrag einer linksradikalen Bewegung kann auch nicht der Appell an den Staat sein. Was f\u00fcr eine schlagkr\u00e4ftige Recht auf Stadt Bewegung notwendig ist, ist eine langfristige Vernetzung von Mieter_innen und Stadtteilbewohner_innen, um eine Politisierung und Ent-Privatisierung von Verdr\u00e4ngungsprozessen zu erwirken. Hier zeigen sich in Leipzig, wegen der vergleichsweise noch attraktiven Situation, noch gro\u00dfe Defizite. Wenn aber erst gehandelt wird, wenn die Probleme manifest werden, wird die Stadt schon dicht sein. Vor allem das stadtpolitische Aktionsnetzwerk Nowhere<\/em> versucht, Mieter_innen zu vernetzen, Proteste schon jetzt zu organisieren und sie in eine aktive Phase zu \u00fcberf\u00fchren. Das muss weiter ausgebaut werden. Vor allem mit einer festen Verankerung in den Stadtteilen.<\/p>\n

7. Chancen von Recht auf Stadt: Vom Linksradikalismus zur konkreten politischen Subjektivit\u00e4t
\n<\/strong>Ein weiterer Grund, warum eine Recht auf Stadt Bewegung interessant f\u00fcr eine linksradikale Bewegung auch jenseits Leipzigs sein kann: Im Gegensatz zu anderen oft gef\u00fchrten K\u00e4mpfen, k\u00f6nnen die meist wei\u00dfen, studentischen Mitglieder linksradikaler Vereine hier eigene Interessen vertreten und m\u00fcssen keine Stellvertreterpolitik f\u00fchren. Das soll die anderen K\u00e4mpfe gar nicht delegitimieren, aber hei\u00dft auch, dass hier wichtige Erfahrungen gesammelt werden k\u00f6nnen, wie man selbst eine konkrete politische Subjektivit\u00e4t jenseits einer abstrakten antikapitalistischen Gesinnung entwickeln kann. Wo die eigenen Lebensumst\u00e4nde bedroht sind, gewinnt die Frage, inwieweit kommunistische Kritik konkrete L\u00f6sungsans\u00e4tze bieten kann oder doch nur moralisches Gewissen ist, an strategischer Sprengkraft. Recht auf Stadt kann somit ein gutes Lehrst\u00fcck darin sein, wie sich ganz unmittelbare materielle Interessen, bspw. nach bezahlbarem Wohnraum, mit dem Maximalanspruch einer kommunistischen Gesellschaft vermitteln lassen \u2013 oder eben auch nicht.<\/p>\n

8. Chancen auf ein konsistentes Subjekt von Emanzipation,…
\n<\/strong>Apropos Kommunismus: Recht auf Stadt k\u00f6nnte die Antwort auf ein gro\u00dfes strategisches Problem derzeitiger antikapitalistischer K\u00e4mpfe sein: Wie l\u00e4sst sich ein einheitliches Subjekt von Emanzipation organisieren? Im Zuge der Fragmentierung von Arbeitsverh\u00e4ltnissen im Postfordismus und anderer Individualisierungsprozesse bspw. in der staatlichen Behandlung der Einzeln\"PdU2\"en (Stichwort Jobcenter) ist es fraglich, wo die verschiedenen gesellschaftlichen Subjekte \u00fcberhaupt noch gemeinsame Erfahrungen machen, auf deren Grundlage sie ein konsistentes kritisches Bewusstsein und gegenseitige Solidarit\u00e4t entwickeln k\u00f6nnen. Die Erfahrungen aller, im eigenen Wohn- und Lebensumfeld Prozessen ausgesetzt zu sein, \u00fcber die man nicht bestimmt und deren Auswirkungen Leid evozieren, k\u00f6nnte so ein gesellschaftliches Subjekt von Emanzipation herstellen. Dabei ist es vor allem interessant, wie Recht auf Stadt Akteur_innen zusammenf\u00fchren k\u00f6nnte, die anscheinend erst einmal wenig miteinander zu tun haben: Gefl\u00fcchtete am Rande der Stadt mit \u201ewei\u00dfen\u201c Kulturarbeiter_innen, Senioren mit Berufsjugendlichen, Arbeitslose mit Arbeitenden usw.<\/p>\n

9. …dessen praktische Schranken…
\n<\/strong>Bei der praktischen Organisierung der Parade wurde deshalb die Verbindung verschiedener Akteur_innen versucht. Allerdings muss auch hier gesagt werden, dass sich das mittlerweile beliebte Motto \u201eK\u00e4mpfe vereinen\u201c besser anh\u00f6rt, als es bisher realisierbar ist. Die Beteiligung verschiedener Basisinitiativen, wie von Arbeitslosen, Streikenden oder Gefl\u00fcchteten, beschr\u00e4nkte sich bei der Parade meist nur auf das Abhalten von Redebeitr\u00e4gen. Das ist kein Vorwurf, sondern eher die Erkenntnis, dass sich K\u00e4mpfe, trotz ihrer abstrakt-analytischen Gemeinsamkeit, schlicht derzeit noch nicht praktisch vermitteln lassen: Wo sie real auseinanderfallen, bleiben eben neben der eigenen politischen Arbeit keine Kapazit\u00e4ten, um die Synthetisierung zu einer Recht auf Stadt Bewegung zu leisten.<\/p>\n

10. ….und\u00a0offene Perspektiven.
\n<\/strong>Auch deshalb, aber auch dar\u00fcber hinaus sollte hinsichtlich der Chancen auf ein einheitliches Subjekt von Emanzipation durch Recht auf Stadt vor allem die konjunktive Form des Ganzen betont werden. Ob die Forderungen der verschiedenen Akteur_innen miteinander oder gegeneinander realisiert werden k\u00f6nnen, ob nicht milieu-spezifische Differenzen st\u00e4rker wiegen, als das gemeinsame Interesse an einer nach den Bed\u00fcrfnissen strukturierten Stadt, ob sich letztlich eine gentrifizierungs-kritische Bewegung nicht einfach in Kiezromantik , dem Abfeiern desolater Lebenszust\u00e4nde oder der Verteidigung der eigenen subkulturellen Nische ersch\u00f6pft, sondern die Aneignung des urbanen Reichtums f\u00fcr Alle fordert, ist damit nicht gesagt. Das Thema liegt aber seit der Parade der Unsichtbaren wieder verst\u00e4rkt auf dem Tisch und sollte nun in politische Basisarbeit \u00fcberf\u00fchrt werden, um den schlimmsten Auswirkungen der Verdr\u00e4ngungsprozesse entgegenwirken zu k\u00f6nnen und die oben genannten M\u00f6glichkeiten von Recht auf Stadt f\u00fcr ein kommunistisches Projekt ausloten zu k\u00f6nnen.<\/p>\n


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2. Presseschau<\/strong><\/h3>\n

Parade der Unsichtbaren will gegen 1000 Jahr Feier protestieren \u2013 LVZ Artikel im Vorfeld der Parade<\/p>\n