{"id":2872,"date":"2018-08-12T15:08:42","date_gmt":"2018-08-12T14:08:42","guid":{"rendered":"https:\/\/www.unwritten-future.org\/?p=2872"},"modified":"2018-08-12T15:08:42","modified_gmt":"2018-08-12T14:08:42","slug":"hier-findet-kein-angemessenes-gedenken-statt","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.unwritten-future.org\/index.php\/hier-findet-kein-angemessenes-gedenken-statt\/","title":{"rendered":"Hier findet kein angemessenes Gedenken statt!"},"content":{"rendered":"

Folgende Rede hielten wir beim Stadtteilspaziergang<\/a> des Ladenschlussb\u00fcndnisses am 8. August in Leipzig-Sch\u00f6nefeld.<\/em><\/p>\n

Liebe Genoss*innen,<\/p>\n

Die Auseinandersetzung mit dem Gedenken an der Kamenzer Stra\u00dfe markiert f\u00fcr uns als Gruppe ein wichtiges Spannungsfeld.
\nEin paar Stra\u00dfen weiter (genau hier, wo wir stehen) stand das gr\u00f6\u00dfte Frauenau\u00dfenlager Buchenwalds. Frauen unterschiedlicher Nationalit\u00e4ten, unter Anderem J\u00fcdinnen, wurden hier zur R\u00fcstungsproduktion f\u00fcr die nationalsozialistische Verbrechens- und Eroberungspolitik gezwungen. Von hier aus gingen auch Todesm\u00e4rsche ab, wo es bis heute nicht klar ist, wie viele Menschen dabei ums Leben kamen.<\/p>\n

Es ist nicht un\u00fcblich, dass Orte des nationalsozialistischen Verbrechens in Vergessenheit geraten sind. Seit Jahrzehnten k\u00e4mpfen die \u00dcberlebenden des NS-Terrors f\u00fcr ein angemessenes Gedenken. Sie waren in ihren K\u00e4mpfen oft erfolgreich. Die Gedenkst\u00e4ttenlandschaft hat sich ver\u00e4ndert in Deutschland. Es wurden auch im Laufe der Jahrzehnte immer mehr Opfergruppen als diese anerkannt.<\/p>\n

Doch hier vor Ort haben wir eine Situation, die ein Gedenken verunm\u00f6glicht. Das Geb\u00e4ude, dass vor \u00fcber 70 Jahren ein Lager f\u00fcr Zwangsarbeiterinnen war, geh\u00f6rt heute einem Neonazi. Es finden immer wieder Rechtsrockkonzerte statt. Au\u00dferdem trainiert hier das Imperium Fight Team, mit seinem politisch einschl\u00e4gig rechten Mitgliedern und Trainer und Aktivisten Benjamin Brinsa.
\nDer nationalsozialistische Vernichtungsgedanke setzt sich so am Ort seiner Verbrechen ungehindert fort.<\/p>\n

Vor dem Geb\u00e4ude steht eine kleine Gedenktafel. Aufgestellt vom Bund der Antifaschisten e.V. Leipzig. Sie soll an die Verbrechen erinnern, die hier vor Ort ver\u00fcbt worden. Sie wurde mittlerweile sechs Mal zerst\u00f6rt. An die ermordeten und \u00fcberlebenden Frauen kann so kein Gedenken stattfinden! Wer hier alleine zum Gedenken herantritt muss von dem angsteinfl\u00f6\u00dfenden Wissen begleitet werden, als Antifaschist*in erkannt und von dem kampfsporterfahrenen Nazis als solche*r behandelt zu werden.
\nWir sagen es also noch einmal: Hier findet kein angemessenes Gedenken statt.<\/p>\n

Doch wie kann ein antifaschistisches Gedenken aussehen?
\nIn der Auseinandersetzung darum wollen und m\u00fcssen wir den Staat thematisieren. Dass der Staat hier auf ganzer Linie versagt hat ist klar und wir sind hiervon nicht sonderlich verwundert.<\/p>\n

Obwohl durch die Befreiung 1945 die nationalsozialistische Vernichtungspolitik beendet wurde, konnte sich die Ideologie in den K\u00f6pfen Deutscher halten. Diese Kontinuit\u00e4ten, der Antisemitismus, sind auch im Staat wieder zu finden. Ein staatliches, antifaschistisches Gedenken w\u00fcrde bedeuten sich selbst und die letzten 73 Jahre seines Wirkens in Frage zu stellen und in letzter Konsequenz sich selbst abzuschaffen. Dieses Interesse wird der Staat niemals entwickeln.<\/p>\n

Stattdessen entwickelte der Staat auf Druck der \u00dcberlebenden andere, vermeintlich antifaschistische Gedenkkonzepte. Damit wird das Bild eines aufgekl\u00e4rten Deutschlands konstruiert, dass eine moralische Autorit\u00e4t habe. Mit der eigenen Vergangenheit k\u00f6nnen pl\u00f6tzlich Bundeswehreins\u00e4tze legitimiert werden, Deutschland kann mit anderen L\u00e4ndern in Konkurrenz treten, wer die besten und meisten Denkm\u00e4ler an die Shoah hat, der NS-Terror wird mit Guido Knopp zu allabendlichen Unterhaltung nach der anstrengend Lohnarbeit. Der Nationalsozialmus wird mit dem Sozialismus der DDR gleichgesetzt. Eine wahrhaft kritische Auseinandersetzung, wie sie gebraucht wird, findet nicht statt. Das Gedenken an den Nationalsozialismus wird so entpolitisiert!<\/p>\n

Dass das Bild eines aufgekl\u00e4rten Deutschlands weit hergeholt ist, k\u00f6nnen wir am Rechtsruck in der Gesellschaft, also auch deutlich innerhalb aller Parteien sehen. Es gibt eine Diskursverschiebung in den Debatten nach Rechts.<\/p>\n

Unser Gedenken muss die Strukturen aufzeigen, die im Nationalsozialismus wirkm\u00e4chtig waren, aber auch heute den gesellschaftlichen Rechtsruck bedingen. Hier in der Kamenzer Stra\u00dfe verkn\u00fcpfte sich der deutsche \u00dcberlegenheitsanspruch mit Antisemitismus und Sexismus. U.a. waren auch J\u00fcdinnen in diesem Lager inhaftiert, die noch h\u00e4rtere Arbeitsbedingungen hatten als die restlichen Zwangsarbeiterinnen. Die Strukturen, die dieses Leid erm\u00f6glichten, waren gesellschaftlich tief verankert. Die dahinter stehende Ideologie von den Einzelnen Gesellschaftsmitgliedern getragen und verinnerlicht.<\/p>\n

Heute finden wir eine Situation vor, wo ein ehemaliges Konzentrationslager Eigentum von jemandem aus dem Umfeld rechter Strukturen ist. Die Gruppe, also wir, die das skandalisiert ist verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig klein. Wie kann es sein, dass dies niemanden interessiert? Hier geht es auch um Solidarit\u00e4t mit den \u00dcberlebenden und den Ermordeten. Zudem wird sich kaum damit Auseinandergesetzt, dass es sich um ein Frauen(!) Au\u00dfenlager handelte. Das Anerkennen weiblichen Leids, aber auch die Aus\u00fcbung des Leids durch Frauen, passiert nicht. Es gab nicht nur m\u00e4nnliche H\u00e4ftlinge und T\u00e4ter.<\/p>\n

Unser Gedenken soll nicht nur die Strukturen aufzeigen, sondern sich auch mit den Individuen besch\u00e4ftigen. Individualit\u00e4t ist ein wichtiger Teil von der gesamtgesellschaftlichen Emanzipation. Wir sollten in der Auseinandersetzung mit dem ehemaligen Frauenkonzentrationslager also auch Zeitzeuginnen zu Wort kommen lassen. Ihnen zuh\u00f6ren, was sie erlebt haben und welche Forderungen sie stellen! Wichtig bleibt dabei nur, nicht das Leid in den Mittelpunkt unserer Betrachtung zu stellen, sondern weiterhin die Kausalzusammenh\u00e4nge und die Verantwortlichkeiten zu thematisieren. Es m\u00fcssen die T\u00e4ter*innen benannt werden, aufgezeigt werden, dass es normale Menschen waren, die zu grausamen Taten f\u00e4hig waren.<\/p>\n

Der immer gr\u00f6\u00dfere zeitliche Abstand f\u00fchrt dazu, dass eine Schuldabwehr stattfindet. Anstatt, dass sich kritisch mit der Vergangenheit auseinandergesetzt wird, w\u00fcnscht man sich keine Thematisierung. Dadurch werden die seit dem Nationalsozialismus fortlaufenden Prozesse und die sich neu formierende Rechte verschwiegen.<\/p>\n

Ein antifaschistisches Gedenken muss den aktuellen antisemitischen, rassistischen, antifeministischen Zustand der Gesellschaft aufzeigen und bek\u00e4mpfen! Er muss gegen die Normalisierung dieses Zustands angehen.
\nEin antifaschistisches Gedenken muss sich mit den Verbrechen des Nationalsozialismus auseinandersetzen, muss die T\u00e4ter*innen benennen, den Opfern Solidarit\u00e4t entgegenbringen und die dahinter liegenden Strukturen aufzeigen. Er muss die Zeitzeug*innen ernst nehmen, das erz\u00e4hlte reflektieren und in eine linke Geschichtsschreibung einarbeiten.
\nEin antifaschistisches Gedenken darf nicht nur den kommunistischen Widerstand thematisieren, sondern muss auch auf andere Formen des Widerstands und des Nicht-Widerstands eingehen. Unser Gedenken darf kein stilles sein! unser Gedenken muss st\u00f6ren – besonders an diesem Ort.<\/p>\n

Wie aus Stadtratsprotokollen zu entnehmen ist, ist der Verfassungsschutz in irgendeiner Weise in der Kamenzer Stra\u00dfe involviert. Unser Erfahrung nach wird das die rechten Strukturen eher erhalten als schw\u00e4chen. Wir wollen kein Nazitrainingszentrum. Weder in einem ehemaligen Konzentrationslager noch irgendwo! Das bedeutet wir m\u00fcssen st\u00f6ren! Wir m\u00fcssen die Strukturen zerschlagen! Wir m\u00fcssen uns aktiv entgegenstellen.<\/p>\n

Das bedeutet antifaschistisches Gedenken!<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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